Lisa ist 8 Jahre alt. Wie fast jeden Morgen gibt es heute wieder Ermahnungen von ihrer Mutter. Lisa hat wieder ihr Sportzeug vergessen einzupacken und Lisa hat wieder vergessen, ihre Zähne zu putzen. Dabei üben die Eltern die zuverlässige, selbständige Erledigung dieser kleinen Aufgaben mit Lisa nun doch schon seit so langer Zeit.
Lisas Bruder Felix ist drei Jahre. Er übt, sich selbst anzuziehen und will das gut machen. Mama muss am Montagmorgen rasch zur Arbeit und als es nicht schnell genug geht, zieht sie ihn noch vollends an. Felix schreit protestierend. Auf dem Weg zum Kindergarten muss er ganz genau einen Schmetterling betrachten, der auf einer Blume sitzt. Mama mahnt zur Eile.
Mittags macht Lisa mit Mama die Hausaufgaben. Warum geht das nur nicht schneller? Die Matheaufgaben sind nun doch schon so oft erklärt worden. Und warum ist das Zimmer wieder nicht aufgeräumt, wo das doch schon so oft besprochen wurde.
Kennen Sie das auch? Wie nehmen Kinder Zeit im Alltag wahr? Wie denken wir bei der Kindererziehung, welche Zeiträume erwarten wir im Hinblick auf Veränderungen oder Entwicklungen bei unseren Kindern?
Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit. Der moderne Mensch denkt sehr zielorientiert und beurteilt eine Sache nach der Möglichkeit eines raschen Erfolges. Unsere Gesellschaft ist insgesamt sehr effektivitätszentriert. “Selbstoptimierung” ist ein Begriff, der in diesen Zeitgeist sehr gut passt. Wir nehmen Fastfood oder Fertiggerichte zu uns, da die Schnelligkeit der Essensaufnahme wichtig ist. Die Bereitschaft zu Wechsel und Flexibilität sind Maxime, jeder sollte multitasking-fähig sein.
Das alles wird dem Kind und seinen Bedürfnissen nicht gerecht. Eigentlich ist sogar die Frage, ob das schnelllebige, moderne Leben dem Menschen generell gerecht wird. Aber das nur nebenbei.
Lisa ist auf dem Weg, Ordnung und Selbstorganisation zu lernen, sie kann das auch nach 10 Ermahnungen noch nicht so wie Mama, die das Familienleben toll organisiert und dennoch auch mal was vergisst. Kinder trödeln schon mal, aber Felix schaut sich den Schmetterling so lange an, weil er die Welt erforschen will. Für diese seine Aufgabe braucht er mehr Zeit als Mama, die Schmetterlinge einfach schon oft gesehen hat.
Ich denke, wir Eltern sollten bei unseren Kindern in sehr langen Zeiträumen denken. Kindliche Entwicklung und Erziehung sind keine Prozesse, die rasch zum Ergebnis führen. Kinder dürfen “auf dem Weg” sein und müssen nicht fertig oder perfekt sein. Wir Eltern sollten also unsere Maßstäbe und zeitlichen Vorstellungen in der Kindererziehung hinterfragen. Denn wir sind eben doch auch geprägt von unserer schnelllebigen, effektiviätsgläubigen Zeit. Es fällt oft schwer, macht sich aber bezahlt, in den Alltag mit Kindern Entspannung hineinzubringen, Druck rauszunehmen und den Kindern die benötigten langen Zeiträume zuzugestehen, wann immer es möglich ist. Denn niemand wird es schaffen, sich dem Termindruck gänzlich zu entziehen. Macht man Kindern aber bewusst, wann sie ausgiebig Zeit zum Spielen, Toben und Entdecken haben und interessiert man sich auch für ihre Entdeckungen, gibt man ihnen das Gefühl in ihrem Tempo ernst genommen zu werden. Dann kann man auch auf Verständnis hoffen, wenn es doch mal eilig ist.