Der Kinderarzt erzählt: Am Ende der Sprechstunde hatte ich noch eine Vorsorgeuntersuchung eines Kindes mit einer Entwicklungsstörung mit intensiver Elternberatung zu erledigen, dann noch ein Telefonat wegen der Schulproblematik einer Patientin und abschließend die Klärung organisatorischer Dinge für den folgenden Tag. Das waren alles noch sehr wichtige Punkte, die ich auch in Ruhe und mit ungeteilter Aufmerksamkeit bearbeiten wollte – nun aber dennoch rasch ins Auto! Klar, ich bin nun ziemlich erschöpft.
Aber: beim Sankt-Martinspiel des Kindergartens wird meine Tochter im Chor der „Gänse“ mitsingen. Und es ist ihr unendlich wichtig, dass ich ihren Auftritt miterlebe. Seit Tagen fragt sie, ob ich es auch wirklich schaffe, was ich ehrlicherweise nicht sicher bejahen kann. Wie befürchtet, habe ich den Beginn des Umzuges verpasst, bin aber noch dazu gestoßen, bevor die bunte Schar der Kinder, Geschwisterkinder und Eltern in die Kirche einzieht. Als der Gänsechor auftritt, stehe ich auf, um sichtbar zu sein, und sehe schließlich ein kleines Gesicht mit suchenden Augen. Als mich meine Tochter sieht, geht ein strahlendes Lächeln über ihr Gesicht – jawohl, mein Papa hat Wort gehalten und ist bei meinem mir so wichtigen Auftritt dabei!
Und ich denke mir: die Hetze hat sich gelohnt, es war wichtig und richtig, den Patienten die nötige Zeit zu widmen und es war auch nötig, in diesen für meine Tochter so wichtigen Augenblicken verlässlich für sie da zu sein. Dafür hätte es keinen Ersatz gegeben! Wir lesen abends noch eine Gute-Nacht-Geschichte und für ein kleines Mädchen ist ein wichtiger Tag mit einer Botschaft der Verlässlichkeit, der Sicherheit und der Bestätigung in der richtigen Art und Weise zu Ende gegangen.
Das ermutigt, Prioritäten immer wieder zu überdenken und gegebenenfalls neu zu setzen, auch als ich abends nochmals ohne große Lust den Rechner hochfahre, um die Arbeit dieses Tages zum Ende zu bringen…
DrS