Alle Artikel in: Praxis

Unsere „Geliebte Ronja“ – eine ehrliche Erfahrung und deshalb so gut

Der heutige Blogbeitrag weicht ein wenig ab von den bisher gewohnten. Es gibt nicht viel Medizinisches. Heute geht es um die persönliche Erfahrung einer Familie. Am Ende steht ein aktueller Buch-Tipp. Als Kinderkardiologe hat man verhältnismäßig oft mit dem Down-Syndrom zu tun. Einfach, weil Kinder mit Down-Syndrom häufig an Herzfehlern leiden. Als Kinderkardiologe hat man in der Praxis aber auch kaum die Zeit, das zu erfassen, was bei den Eltern noch mitschwingt, wenn sie ernsthafte Diagnosen mitgeteilt bekommen. Nicht nur bei Down-Syndrom-Kindern, aber da natürlich besonders. Die ganze Fülle an Emotionen und rationalen Abwägungen durfte ich nun in einem Fall lesen, nämlich im Fall der kleinen Ronja. Ihre Mutter hat die bisherige Geschichte der Familie mit Ronja als absolut lesenswertes Buch veröffentlicht. „Geliebte Ronja“, erschienen im Kösel-Verlag. Zur Autorin: Gundula Rath-Bingart, geb. 1985, beschäftigte sich schon während ihres Studiums der Philosophie, Geschichte und Islamwissenschaft intensiv mit den damaligen Debatten zur Präimplantationsdiagnostik. Sie lebt mit ihrem Partner in Bayreuth, 2017 wurde sie schwanger. Nachdem sie erfahren hatte, dass ihre Tochter mit einer Trisomie 21 und einem …

Der interessante Fall – Essstörung als indirekte Reaktion auf die COVID19-Epidemie

Vorausschicken möchte ich, dass ich den Virus SARS-CoV2 für überaus gefährlich halte und selbst hoffe, niemals damit heftig in Kontakt zu geraten. Und auch die gespaltene Stimmung hinsichtlich der Notwendigkeit der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie halte ich für gefährlich, weil hier Menschen das für die Fachleute Sichtbare in nie dagewesener Weise leugnen und damit eine Diskussionskultur schaffen, die ein Handeln mit Augenmaß zunehmend schwierig macht. Dennoch dürfen wir als Ärzte, denen Kinder und Jugendliche anvertraut sind, nicht verschweigen, dass die Pandemie auch andere Folgen haben kann, als die direkten durch die Infektion mit dem SARS-CoV2-Virus. Ein interessanter Fall ist es deshalb wert, berichtet zu werden. Es handelt sich um einen Patienten, der eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung entwickelt hat. Dies ist eine typische Reaktionsform auf einschneidenden, lebensbedrohlichen  Stress. Im Rahmen der Belastungsstörung, die zunächst aufgrund der allgemeinen Unruhe der Zeit gar nicht auffiel, kam es zu Angst- und Sinnlosigkeitsgefühlen, die letztlich in einer reduzierten Nahrungsaufnahme mündete. Die Folge war das Bild einer Magersucht, aber eben nicht als typische psychische Anorexie, sondern als Reaktion auf den …

Frohe Weihnachten nach einem dunklen Jahr

An dieser Stelle wünschen wir unseren Leserinnen und Lesern und den Familien, die uns in den Praxen ihre Kinder anvertrauen, traditionell ein wundervolles stilles Weihnachtsfest. Sozusagen als Krönung eines “bestandenen” Jahres. Dies können wir in diesem Jahr nicht genauso sagen. Wir selbst haben zwar irgendwie überstanden. Das erste Jahr mit dem verteufelten Virus, voller Unsicherheit, Durcheinander und unkalkulierbarer Risiken. Auch in unseren Praxen. Und ich hoffe sehr, auch im Namen von Dr. Stefan Schwarz, dass Ihr alle so gut wie möglich hindurchgekommen seid und keine schwere Erkrankung oder Schlimmeres in Euren Familien erlebt habt. Aber es wird weitergehen. Wir werden erst einmal mit dem Virus SARS-CoV2 leben müssen und uns an die Einschränkungen, die es mit sich bringt, gewöhnen. Deshalb wünsche ich Euch in diesem Jahr ein anderes Weihnachtsfest. Eine Zeit mit der Familie, die Euch dankbar machen darf, dass wir in Deutschland viele Jahre zuvor verschont waren von Pandemien und es hoffentlich auch einmal wieder sind. Eine Zeit, die auch ein wenig Platz lässt für ein Lachen über all die Unzulänglichkeiten, die sich in …

Neu und lebenswichtig! Die Früherkennungsstudie VRONI (für alle Kinder von 5 bis 14 Jahren)

Seit einigen Wochen gibt es in Bayern VRONI – ein völlig neues Früherkennungsprogramm bei Kindern von 5 bis 14 Jahren. Es ist für die Familien kostenlos und dient der Früherkennung von Gefäßrisiken im jungen Erwachsenenalter durch ungünstige Cholesterinwerte. Weil Vorbeugung und Behandlung früh beginnen muss. Es handelt sich nicht um ein Programm der gesetzlichen Krankenkassen, sondern um eine Studie aus Wissenschaftsmitteln der Bayerischen Staatsregierung. Teilnehmen können alle Kinder von 5 bis 14 Jahren. Es braucht eine kleine Blutprobe und die Einwilligung am besten beider Elternteile. Es besteht insbesondere die Möglichkeit, bei erhöhtem Blutwert für das „böse“ LDL-Cholesterin die Gene dahinter zu untersuchen und weitere Familienmitglieder aufzuspüren und diese dann auch zu behandeln und somit Schäden vorzubeugen. Die genetische Diagnostik soll später auch einmal zur noch genaueren Einschätzung der Risiken dienen. Wenn Ihr mich als Kinderherzspezialisten fragt – unbedingt teilnehmen! Warum? Die Gefäßerkrankungen Herzinfarkt und Schlaganfall sind die allerwichtigsten Erkrankungen in der modernen Welt überhaupt. Sie sind verantwortlich für die meisten Todesfälle und auch für bleibende Einschränkungen der Lebensqualität. Sie sind als Gefäßverschluss der Endpunkt einer …

Ist eine Untersuchung auf angeborene Herzfehler sinnvoll?

Als Kinderkardiologe dazu ein ganz klares JA. Etwa  1% der Kinder kommt mit einem fehlgebildeten Herzen oder Fehlern der großen Gefäße am Herzen, also vor allem der Aorta (Hauptschlagader), auf die Welt. Gottseidank sind viele dieser Herzfehler trotzdem gut mit dem Leben vereinbar. Und ein Teil kann sich sogar von selbst normalisieren. Etwa 70% der Herzfehler kann im Rahmen einer exakten Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft bereits diagnostiziert oder vermutet werden. Es bleiben dennoch einige Fehler, die Relevanz haben. Weil sie die Umstellung des Kreislaufs nach der Geburt behindern und damit die Reifung der Lungengefäße. Weil sie Bluthochdruck begünstigen können (mit allen Folgen). Weil sie ein Risiko bei körperlicher Belastung darstellen. Weil sie das Herz schwächen. Weil sie die körperliche Entwicklung behindern. Ich empfehle deshalb immer,  einen Herzfehler per Ultraschalluntersuchung auszuschließen. Vor allem natürlich, wenn es solche Herzerkrankungen in der Familie gibt. Und wann? Im Prinzip in jedem Lebensalter, am besten allerdings in den ersten Lebensmonaten. So wie es in vielen Geburtskliniken bereits durchgeführt wird.

COVID19 – wie sich unsere Patienten verändert haben

Unser Leben hat sich verändert unter COVID19. Das muss man niemandem erzählen. Vielleicht ist aber für Sie interessant wie sich unsere Praxisabläufe und auch die Patienten verändert haben. Was ich bei den Familien wahrgenommen habe Trotz aller Einschränkung der täglichen Aktivitäten und auch der teils belastenden Home School haben wir keine deprimierten Kinder erlebt. Vielmehr wurde sogar häufig erwähnt, dass das gute Wetter und der fehlende Schuldruck wir eine Auszeit wahrgenommen wurde. Viele Familien haben diese Chance genutzt und damit das Beste aus dem gemacht, was erst einmal sowieso nicht zu ändern war. Deshalb gab es auch weniger Vorstellungen. Die vielen Vorstellungen mit psychosomatischen Beschwerden im Zusammenhang mit dem Druck der Schule waren komplett verschwunden. Natürlich auch die Beratungen im Zusammenhang mit Schulleistungen und Schullaufbahn. Natürlich haben wir viele Familien aus der ländlichen oder Kleinstadtumgebung. Ob meine Wahrnehmung in einer Großstadt mit fehlender Natur und beengten Wohnverhältnissen genauso wäre, weiß ich natürlich nicht. Auch Ängste der Kinder im Zusammenhang mit COVID19 waren nicht besonders ausgeprägt. Am ehesten waren es noch Ängste um kranke oder alte …

Das Covid19-Virus und die Kinder

Wir werden natürlich jetzt oft zum neuen Coronavirus und zu Covid19 gefragt. Ich fasse deshalb hier einmal den aktuellen Stand des Wissens aus Sicht eines Kinderarztes bzw. Kinderkardiologen und Kinderpneumologen zusammen. Covid19 ist eine völlig neuartige Erkrankung, die jetzt wie ein Tsunami durch die Welt gespült wird. Deshalb gibt es keine Erfahrung mit dem Virus, und auch noch wenige verlässliche Forschungsergebnisse. Was sicher ist: Leider ist Covid19 nicht nur eine „etwas bösere Grippe“. Und es trifft auch nicht nur alte oder kranke Menschen. Dass sich die Erkrankung so schnell verbreitet und auch in Einzelfällen so heftig verläuft, hat Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker weltweit überrascht. Wir sehen in Italien, dass mit dem Virus nicht zu spaßen ist. Er ist höchstansteckend und deshalb nicht gut zu begrenzen. Auch wenn viele Infizierte nur leichte Symptome haben, kommt es in 10-15% der Fälle zu schweren Verläufen. Diese können aufgrund der Vielzahl plötzlich Erkrankter die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens aller Länder sehr rasch an die Grenze bringen. Folge wären dann steigende Zahlen an Todesfällen. Kinder sind generell glücklicherweise viel weniger stark betroffen …

Warum ich die Weiterbildung “Ernährungsmedizin” durchlaufen habe…

Ich bin jetzt “Ernährungsmediziner”. Jedenfalls habe ich die Weiterbildung “Ernährungsmedizin” durchlaufen. Ernährung ist interessant. Denn jeder isst gerne gut. Und jeder weiß auch, welchen erheblichen Einfluss Fehlernährung haben kann. Die Krankheiten, die im Zusammenhang mit Ernährung stehen, nehmen zu. Und damit auch die Möglichkeiten der Prävention. Und gleichzeitig suggeriert die Werbung, wir dürften uns die wunderbaren Geschmackserlebnisse nicht entgehen lassen. Leider gibt es gerade in der Ernährungsmedizin in vielen Fällen nur Expertenmeinungen und wenige wissenschaftliche Beweise. Deshalb ist Ernährungsmedizin auch so mystisch. Jede Frauen- oder Familienzeitschrift hat ein Dossier über Ernährungsfragen und verbreitet vermeintlich neue „Superkost“ oder „Diäten“. Vieles davon ist Humbug oder zumindest Marketing.   Warum trotzdem Ernährungsmedizin? Ein paar wichtige Beispiele: Ernährung sollte zunächst ausgewogen sein. Und da fängt das Problem schon an. Die gesunde, ausgewogene Ernährung des Kindes schützt es vor Mangelzuständen und gleichzeitig vor den Krankheiten der „Überfütterung“. Leider finden wir diese ausgewogene Ernährung gar nicht mehr so häufig in den Familien. Gerade in der Kardiologie sind viele Erkrankungen des Erwachsenen vorzubeugen, wenn von Kindesbeinen an auf die richtige Ernährung geachtet …

In eigener Sache – warum der kinderärztliche Notdienst geändert werden muss

Die Ausbildungszahlen in der Kinder- und Jugendmedizin gehen zurück und es gibt deshalb immer weniger Kinderärzte. Vor allem gibt es speziell in ländlicheren Regionen kaum mehr Ärzte, die sich in eigener Praxis niederlassen wollen. Für viele ist besonders die Verpflichtung zum „Notdienst“ (Bereitschaftsdienst)  ein wichtiger Grund, sich nicht mehr niederzulassen. Also die Verpflichtung, regelmäßig Dienst zu tun, wenn Praxen zu haben – am Wochenende, an Feiertagen und vor allem nachts. Was bedeute dieser Bereitschaftsdienst für uns? Jeder Kassenarzt ist verpflichtet, an diesem Notdienst teilzunehmen. Internisten, Allgemeinärzte und viele andere nehmen zum Beispiel am allgemeinen Bereitschaftsdienst teil – Facharztzeugnis ist dabei nicht Pflicht. Wir Kinderärzte nehmen wie etwa auch Augenärzte, HNO-  oder Frauenärzte am fachärztlichen Notdienst teil. Während sich in unserer Region rund 400 Ärztinnen und Ärzte den allgemeinen Bereitschaftsdienst in verschiedenen Schichten teilen und damit auf etwa 190 Stunden Dienstbelastung im Jahr kommen, sind es in der Gruppe der Kinderärzte etwa 12 Kolleginnen und Kollegen, so dass die Dienstbelastung mehr als 560 Stunden im Jahr ausmacht. Wohlgemerkt zusätzlich zur normalen Praxis am Tage. Seit diesem …

Schulmedizin oder natürlich heilen?

Ein bewusst provokanter Titel. Denn in meiner langjährigen Sicht auf die Kindermedizin kristallisiert sich immer mehr heraus, dass dies in vielen Fällen kein Widerspruch ist. Weil Medizin, Gesundheit und Wohlbefinden  eben ganzheitlich zu betrachten ist. Das, was wir im Allgemeinen als Schulmedizin bezeichnen, hat seine Grundlage im wissenschaftlichen Beleg für bestimmte therapeutische Maßnahmen. Die sind oft zugegebenermaßen aber auch nicht eindeutig – oder für den Einzelfall zutreffend. Dennoch wird kein Mensch mit Rest-IQ auf das Pendeln als Hauptmethode bei der Behandlung eines angeborenen Herzfehlers setzen. Umgekehrt bedeutet “natürlich heilen” nicht, dass es automatisch wirkungslos ist. Viele heutige schulmedizinische Medikamente entstammen ja auch ursprünglich der Natur. Denken Sie nur an Penicillin. Und auch andere ganzheitliche Methoden (etwa die Gesprächstherapie, die Wirkung des Körperkontakts oder physikalische Heilmethoden) sind unbestritten wirksam. Ein Grund, warum auch ich mich für mehr Vertrauen in den Einsatz natürlicher Methoden stark mache, z.B. mit physikalischer Fiebersenkung statt Ibuprofen oder Paracetamol. Dennoch gibt es Grenzen. Die sind für mich dann erreicht, wenn eine dringend notwendige Therapie durch wirkungslose “natürliche Heilung” verpasst wird. Nicht ganz …